Für jeden Topf gibt es einen Deckel
Evangelisches Dekanat Bergstraße, Rimbach – Seit zehn Jahren vermittelt das Diakonische Werk Bergstraße Menschen mit psychischer Erkrankung in Gastfamilien. Zeit für eine Bilanz und eine „Geburtstagsfeier“ im Psychosozialen Zentrum des Diakonischen Werks in Rimbach.
Aktuell leben 14 Gäste in Familien. Das Erstaunliche: zur „Geburtstagsfeier“ kamen etliche, die seit zehn Jahren, also von Anfang an dabei sind. Und sie haben es nach eigener Aussage nicht bereut, wie Marion Oberle aus Fürth betont: „Als die Kinder aus dem Haus waren, habe ich eine neue Aufgabe gefunden. Mit unserem Gast hat sich das Haus wieder mit Leben gefüllt. Wichtig ist, dass sich die ganze Familie dafür entscheidet und man sich am Anfang Zeit nimmt, den Menschen kennenzulernen.“
Mehr als nur ein Zimmer
Die psychisch Erkrankten haben in ihren Gastfamilien nicht nur ein Zimmer, sie leben in und mit den Familien. „Es ist ein Geben und Nehmen. Ich bin körperlich nicht mehr so fit. Er nimmt mir Dinge ab, die ich nicht mehr kann“, sagt eine Frau, die namentlich nicht genannt werden möchte. Eine andere erklärte: „Wir können uns etwas anderes gar nicht mehr vorstellen. Wenn der Uwe mal nicht da ist, fehlt er uns.“
Ein Wohnplatz in einer Einrichtung könne durchaus eine gute Betreuung gewährleisten, sei aber kein Familienersatz und kein Zuhause, meinen die Fachleute vom Diakonischen Werk, Viele, die in Gastfamilien untergekommen sind, hätten ihre Gesundheitszustand und ihr subjektives Wohlbefinden verbessert. Das bestätigen auch Martina und Uwe Burmester aus Birkenau-Reisen: Die gute Entwicklung und die Fortschritte, die Romy macht, haben uns positiv überrascht.“ Ihr Gast Romy Arnold fühlt sich nach eigenen Angaben bei den Burmesters sehr wohl.
Zusammen stehen
Die stellvertretende Leiterin des Diakonischen Werks, Ursula Thiels, räumte ein, dass sie anfangs skeptisch war, ob sich überhaupt Familien bereit erklären würden, einen Menschen mit psychischer Erkrankung aufzunehmen und ob man die Familien damit nicht überfordere. „Schon nach kurzer Zeit war ich überzeugt, weil wir Familien mit Herzensgüte gefunden haben.“
Als entscheidend für den Erfolg gilt die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Familien und den Mitarbeitenden des Diakonischen Werks. Die Bereichsleiterin Betreutes Wohnen, Martina Hanf, die Sozialpädagogin Elisabeth Damm und der Sozialarbeiter Carsten Englert halten engen Kontakt zu den Familien und beraten sie kontinuierlich. Das Credo des Trios: „Wir durchleben mal bessere, mal schwierigere Tage. Aber wir reden offen miteinander, stehen zusammen und finden gemeinsam Lösungen.“
Stadt-Land-Gefälle
Für Reinhold Haller vom Landeswohlfahrtsverband Hessen ist das betreute Wohnen in Gastfamilien im Kreis Bergstraße eine Erfolgsgeschichte. „Neben den Landkreisen Groß Gerau und Kassel ist es der einzige Landkreis, in dem es eine hohe und kontinuierliche Aufnahmebereitschaft gibt.“ Das hänge insbesondere am Engagement der Mitarbeitenden. In den Großstädten würden sich dagegen kaum Familien finden. Auch im Kreis Bergstraße ist die Situation regional sehr unterschiedlich. Gastfamilien finden sich eher im ländlichen Raum in den Odenwald-Gemeinden. Entlang der Bergstraße mit den Städten Bensheim und Heppenheim gebe es dagegen weiße Flecken. Ursache dürfte vor allem der knappe und teure Wohnraum sein. Eine Gastfamilie erhält ein monatliches Betreuungsgeld einschließlich Miete und Verpflegung von derzeit 1106 Euro.
Bei der Geburtstagsfeier war auch ein Plakat des Dichters Friedrich Hölderlin zu sehen. Er ist so etwas wie der „Schutzheilige“ des Lebens in Gastfamilien. Nach seiner Entlassung aus der Universitätsklinik lebte er von 1807 bis zu seinem Tod noch 36 Jahre in Pflege bei der Tischlerfamilie Zimmer in Tübingen.
Quelle: Evangelisches Dekanat Bergstraße (bbiew), 30.11.2018
Foto: bbiew