Große Anfrage der Fraktion Die Linke im Hessischen Landtag zur Altersarmut / Diakonie Hessen fordert armutsfeste Löhne und Renten
Diakonie Hessen. Alte Menschen sind in Hessen wieder deutlich stärker von Armut bedroht als noch vor zwei Jahren.
„Die Armutsrisikoquote bei älteren Menschen in Hessen ist in den vergangenen zwei Jahren im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich stark angewachsen“, kommentiert Wilfried Knapp, Vorstand der Diakonie Hessen, die Antwort der Hessischen Landesregierung auf die aktuelle Große Anfrage der Fraktion Die Linke. Knapp: „Die aktuellsten Zahlen belegen diesen Trend noch einmal deutlich.“ Nach Angaben der amtlichen Sozialberichterstattung ist die Armutsgefährdungsquote bei älteren Menschen in Hessen von 14,1 Prozent in 2017 auf 14,9 Prozent in 2018 gestiegen, stärker als die Armutsgefährdungsquote der Gesamtbevölkerung (von 15,4 Prozent in 2017 auf 15,8 Prozent in 2018).* Die offiziellen Statistiken spiegelten die tatsächliche Situation der von Altersarmut betroffenen Menschen allerdings nur zum Teil wieder. Knapp: „Mehr als die Hälfte** der alten Menschen, die von Armut betroffen sind, nehmen die Grundsicherung im Alter nicht in Anspruch.“
Wenig in den Blick genommen und ebenfalls von Armut betroffen sind Menschen mit Pflegebedarf, deren Vermögen beziehungsweise Einkommen durch die steigenden Kosten für die stationäre Pflege aufgezehrt wird. Knapp: „Menschen mit Pflegebedarf werden zu Sozialhilfeempfängern, auch weil das Land Hessen seiner Verantwortung nicht nachkommt und die Investitionskosten von Pflegeheimen nicht fördert. Jede Erhöhung dieser Kosten geht zu Lasten der Heimbewohner.“
„In den diakonischen Beratungsstellen erleben wir jeden Tag die Nöte von alten Menschen“, ergänzt Dr. Felix Blaser, Referent für Armutspolitik bei der Diakonie Hessen. „Die Altersarmut, die nicht in den Statistiken auftaucht, bekommt in unseren Beratungen ein Gesicht und eine Stimme.“ Besonders die Zahl der älteren Frauen sei gestiegen, die in diakonischen Einrichtungen Rat suchen. Dr. Blaser: „Prekäre Beschäftigungsverhältnisse und das damit einhergehende Risiko von Altersarmut sind Herausforderungen, denen sich die Hessische Landespolitik energischer stellen muss. Eine insgesamt reiche Gesellschaft wie unsere muss politisch nicht nur für armutsfeste Mindestlöhne sondern auch für armutsfeste Mindestrenten für alle Menschen sorgen.“ Es sei eine gefährliche Entwicklung, dass die atypischen Beschäftigungsformen in Hessen zwischen 2003 und 2015 in Hessen um über 50 Prozent zugenommen haben und laut zweitem Landessozialbericht rund 17 Prozent aller Beschäftigten im Niedriglohnbereich arbeiteten. Dr. Blaser: „Diesem Trend gilt es nun aktiv entgegenzuwirken.“
*http://www.amtliche-sozialberichterstattung.de/
** Die neuesten Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung gehen von rund 60 Prozent der Anspruchsberechtigten aus, welche die Grundsicherung im Alter nicht abrufen. (https://www.diw.de/de/diw_01.c.699978.de/grundsicherung__hohe_rate_der_nichtinanspruchnahme_deutet_auf_hohe_verdeckte_altersarmut.html)
Hintergrund
Beispiele zu Altersarmut bei Frauen
Lesen Sie vier Beispiele zu Altersarmut bei Frauen aus der diakonischen Beratungspraxis. Diese Beispiele sind zufällig ausgewählt. Sie haben jedoch eines gemeinsam: In Armut geraten sind diese Frauen erst im Alter und ihre Armut ist verdeckt. Trotz ihrer geringen Einkünfte tauchen sie nicht in der Statistik der Grundsicherungsempfängerinnen auf. Sie verzichten auf diese finanzielle Unterstützung, weil sie in ihrem gewohnten Lebensumfeld bleiben und ihr Zuhause nicht aufgeben wollen.
- Frau H., Jahrgang 1946, hat 3 Kinder weitgehend alleine erzogen, ihr Ehemann (Frührentner) hat sich vor vielen Jahren von ihr getrennt. Sie hat daraufhin langjährig als Altenpflegehelferin in Teilzeit gearbeitet. Trotz Trennung pflegt sie ihren mittlerweile pflegebedürftigen Ehemann in dessen Wohnung, denn sie ist wegen ihrer geringen Altersrente auf das Pflegegeld als zusätzliches Einkommen angewiesen. Grundsicherung will sie nicht beantragen, denn ihre Wohnung gilt als zu groß und sie müsste umziehen. Mehr Beispiele unter http://www.diakonie-hessen.de/veroeffentlichungen/diakoniesonntag-2019.html
- Frau M., Jahrgang 1940, ist verwitwet und hat früher gemeinsam mit ihrem Ehemann eine Gastwirtschaft im eigenen Haus betrieben. Nun lebt sie in einer Mietwohnung. Den Erlös aus dem Verkauf ihres Hauses hat sie vor Jahren ihrem Schwiegersohn zur Geldanlage anvertraut. Das hat ihr einen Verlust von 4/5 der Verkaufssumme beschert. Der übriggebliebene Betrag ist trotz sparsamster Haushaltsführung fast aufgezehrt. Sie lebt von rund 500 Euro Witwenrente und erhält Wohngeld.
- Frau A., Jahrgang 1939, ist seit 50 Jahren verheiratet. Sie lebt in der gemeinsamen Eigentumswohnung, ihr Ehemann aufgrund seines hohen Pflegebedarfs im nahen Pflegeheim. Den Eigenanteil an den Heimkosten finanziert das Paar alleine aus der Rente des Ehemannes, denn Frau A. möchte in ihrer vertrauten Wohnung bleiben und sie nicht wegen der Heimkosten aufgeben. Dadurch bleiben ihr nur 700 Euro für ihren Lebensunterhalt.
- Frau K., Jahrgang 1942, geschieden, lebte mit Enkeltochter und deren Kind gemeinsam in einer 3-Zimmer-Wohnung, die sie nach deren Auszug weiter gehalten hat. Trotz geringer Rente erhält sie keine Grundsicherung, denn eine Lebensversicherung liegt 100 Euro über dem erlaubten Maximalsatz. Wohngeld erhält sie erst dann, wenn sie in eine kleinere Wohnung zieht, wozu sie nicht bereit ist.
Quelle:
Pressestelle
Diakonie Hessen – Diakonisches Werk in Hessen und Nassau und Kurhessen-Waldeck e.V.