Tagesstätte für Menschen mit seelischer Behinderung
Evangelisches Dekanat Bergstraße, Wald-Michelbach – Die vom Diakonischen Werk Bergstraße betriebene Tagesstätte für Menschen mit seelischer Behinderung in Wald-Michelbach besteht jetzt seit 20 Jahren. Die Zahl der Klienten hat sich seitdem von sechs auf 34 mehr als verfünffacht.
“Ich freue mich jeden Tag, die anderen wiederzusehen”, sagt ein Klient der Tagesstätte. Für eine examinierte Altenpflegern, die namentlich nicht genannt werden möchte, ist die Tagesstätte eine Art Familienersatz. Sie hatte schwere Depressionen bekommen, die auch zu einem sozialen Abstieg führten. Es folgten mehrere Aufenthalte in der psychiatrischen Vitos-Klinik in Heppenheim. Ihre Arbeit, so berichtet sie, habe sie nicht mehr bewältigen können. Das Gesundheitsamt habe sie schließlich für arbeitsunfähig erklärt. „Mit mir ging es nur noch bergab. Ich habe gar nichts mehr hinbekommen und war mit den Nerven am Ende.“ Durch den regelmäßigen Besuch der Tagesstätte habe sie wieder Boden unter den Füßen bekommen und ihr Leben eine feste Struktur gegeben „Seitdem ich hier bin, gab es keine Klinikaufenthalte mehr. Ich fühlte mich von Anfang an angenommen. Ich habe auch keine Angst mehr allein zu sein, weil ich weiß, dass am nächsten Tag eine sinnvolle Aufgabe auf mich wartet.“ Die 54jährige schleift und lackiert Möbel in der Werkstatt der Tagesstätte in Rimbach. Sie wurde vor zwei Jahren zusätzlich zur Tagesstätte in Wald-Michelbach eingerichtet, weil seelische Erkrankungen stetig zunahmen und der Bedarf immer größer wurde.
Was hilft Menschen mit psychischen Erkrankungen?
Die Werkstatt leitet der Sozialarbeiter Thorsten Kaffenberger. „Uns war es wichtig, einen Hauch von Arbeitswelt zu vermitteln. Die Arbeit und die feste Tagesstruktur ist unseren Klienten eine große Hilfe.“ In beiden Tagestätten gibt es ergotherapeutische Angebote unter anderem Arbeit mit Papier, Holz oder Ton. Auch therapeutische Entspannungs- und Bewegungsübungen oder Ausflüge sind fester Bestandteil des Programms. Ein hauswirtschaftliches Training soll Einkauf, Zubereitung von Mahlzeiten oder Wäschepflege fördern. Ausdrucksmalerei und eine Schreibwerkstatt dienen dazu, Menschen mit seelischer Erkrankung zu stabilisieren. Der Besuch der Tagesstätte verbessert die Lebensqualität von Menschen mit seelischer Behinderung.
Gemeinsam kochen – gemeinsam essen
Jana Youngova, die aus Tschechien stammt und ausgebildete Opernsängerin ist, hat die Tätigkeit in der Küche geholfen. „Ich koche gern und ich koche gemeinsam mit anderen. Seitdem geht es mir wirklich besser“, berichtet sie. Und einer ihrer Mitköche, der nicht mit Namen genannt werden möchte, ergänzt: „Wir arbeiten gut zusammen. Ich freue mich jeden Tag, die anderen wiederzusehen“. Das Mittagessen wird in der Tagestätte jeden Werktag gemeinsam gekocht und gemeinsam gegessen. Eine andere Frau bestätigt die gute Atmosphäre in der Tagesstätte: „Ich fühle mich hier wohl. Denn es ist immer was los.“
Anderen Klienten reicht es, einfach nur zu kommen und unter Menschen zu sein. „Das ist besser als nur zu Hause zu sitzen und an die Wand zu starren“, betont die Teamleiterin des Tagestätte Elisabeth Struck. Interessierte könnten sich in der Tagesstätte melden. Voraussetzung für die Aufnahme als Klient sei aber eine ärztliche festgestellte psychische Erkrankung. Die Aufenthaltsdauer beträgt zunächst zwei Jahre. Sie kann aber bei Bedarf verlängert werden. Einige nutzen das Angebot bereits seit mehr als zehn Jahren.
Lange Wege zu Fachärzten
„Wir dürfen nicht unterschätzen, was es bedeutet, mit einer psychischen Erkrankung zu leben und welche Überwindung es kostet, sich Hilfe zu organisieren“, sagt die stellvertretende Leiterin des Diakonischen Werks Bergstraße, Ursula Thiels, die vor 20 Jahren die Gründung der Tagesstätte mit initiiert hatte. Die Plätze in den beiden Tagesstätten reichen nach ihren Angaben aus. Sie bedauert aber, dass Arbeitslosengeld-II-Bezieher keinen Anspruch auf die Tagesstätte haben. „Dabei haben etliche von ihnen erhebliche seelische Probleme.“
Ursula Thiels beklagt zudem die mangelnde fachärztliche Versorgung für Menschen mit seelischen Erkrankungen im Bergsträßer Teil des Odenwalds. Ein Neurologe habe sein Praxis unlängst aufgegeben, ein anderer Facharzt sei überlastet und nehme keine neuen Patienten an. „Depressionen können lebensbedrohlich sein. Die Betroffenen müssen zu lange auf einen Facharzttermin warten oder lange Anfahrtswege in Kauf nehmen“, kritisiert Ursula Thiels.
Mach mal Pause
Übrigens, wer zu unschlagbaren Preisen Kaffee trinken und Kuchen essen möchte, hat dazu dienstags von 14 bis 16 Uhr Gelegenheit. Die Tagesstätte in Rimbach öffnet dann das von Klienten betriebene Café Pause. Das Angebot wird bislang hauptsächlich von Kunden der benachbarten Tafel genutzt. Kaffee und selbst gebackener Kuchen gibt es dort für 1,50 Euro.
Quelle: Evangelisches Dekanat Bergstraße (bbiew), 07.02.2018
Foto: bbiew